Folge 13 - Rege Bautätigkeit

Peter Nics

Kaltenleutgeben von damals bis heute

13. Fortsetzung

 
Rege Bautätigkeit
1971 erwirbt die Gemeinde die restlichen Kurhausgrunde und das Bahnhofsareal - letzteres hat sie seinerzeit allerdings unentgeltlich (!) zur Verfügung. gestellt - für den Bau von Wohnhausanlagen. Die Einwohnerzahl, 1961 bereits unter 2.000 gesunken, ist vor allem durch die Besiedelung des Doktorberges wieder im Steigen begriffen - es muss sogar das Schulgebäude erweitert werden. 1975 kommt es zu einer neuerlichen Ausweitung des Ortsfriedhofes, 1977 wird die im Anschluss an die Volksschule errichtete Turnhalle ihrer Bestimmung übergeben. Die Siedlungsgenossenschaft Wien-Süd übernimmt alle gemeindeeigenen Wohnhäuser zur treuhändischen Verwaltung, 1978 wird die ,,Professorenvilla“ renoviert und darin im Erdgeschoss ein Kulturheim eingerichtet. 1979 können in einem Neubau, der an der Stelle des ehemaligen Neuen Kurhauses("Morizhof") erbaut wird, die Raiffeisenkasse, der Kindergarten, die Mutterberatung, die Gemeindebücherei und im ersten Stock Dienstwohnungen untergebracht werden. In Richtung Unterart schließen eine kleine Grünanlage und ein Parkplatz (hier befanden sich früher das Kurtheater - später als "altes" Kino in Verwendung - mit Konditorei und Wandelhalle und die Thespisvilla) an. 1980 kann der Bauhof fertig gestellt und in Betrieb genommen werden. Die Wohnhausanlage auf dem ehemaligen Bahnareal ist nun komplett und wird nach Hans Czettel benannt, der sie als Landeshauptmannstellvertreter von Niederösterreich kurz vor seinem Tod eröffnet hat.

In den Achtzigerjahren gibt es einige Jubiläen zu feiern
Den Anfang macht das geistliche Kaltenleutgeben mit seinem Pfarrer Dr. Franz Reiter: 1982 gibt es den 250ten Geburtstag der Pfarrkirche ,,St. Jakob d.Ä." und den vorgezogenen 200ten Geburtstag der Pfarre Kaltenleutgeben (Pfarrerhebung 1783) zu feiern. Das Jubiläums­programm erstreckt sich über mehrere Monate: Am Sonntag, dem 9. Mai, Festmesse mit Weihbischof Florian Kuntner (+) und gleichzeitiger Firmspendung. Anschließend Eröffnung der (ersten und bisher einzigen) umfassenden Ausstellung zur (Kirchen)Geschichte Kaltenleutgebens in der Professorenvilla, gestaltet von Eduard Lorenzsen. (+) und Prof. Dr. Heinz Schöny. Ende Mai findet eine dreitägige Wallfahrt nach Altötting statt zur Gnadenstatue der Schwarzen Muttergottes, deren Abbild seit seiner Fertigstellung - die Statue kam bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach Kaltenleutgeben - den Hochaltar der Pfarrkirche schmückt. . Neben Stationsgottesdiensten im Unterart (Dreifaltigkeitsplatz), auf dem Doktorberg und im Oberort (Arnoldheim) gibt es am 6. Juni ein Hochamt zum 110jährigen Bestehen des Männergesangvereins mit Aufführung der Spatzenmesse von Mozart. Die Festpredigt hält der damalige Pfarrer von Laxenburg und ehemalige Pfarrprovisor von Kaltenleutgeben (1945/46), Msgr. Karl Dintner. Die Festmesse am Kirtag (25. Juli) feiert der Kaltenleutgebner Priester und damalige Pfarrer von Stockerau, Msgr. Anton Eder. Den Schlusspunkt setzt eine Gedächtnismesse in der Krypta der Schottenkirche in Wien, wo der Erbauer der Kirche, der Baumeister Jakob Oeckhl ( 1670? -1754) seine letzte Ruhestätte
gefunden hat. Die Festansprache hält der Stifts- und Ordenshistoriker P. Dr. Leopold Grill O. Cist. In der empfehlenswerten Festschrift (noch erhältlich!) gibt es u.a. fundierte Artikel über die "Vor- und Frühgeschichte von Kaltenleutgeben" (von Leopold Grill) und über ,Jakob Oeckhl, den Erbauer der Kirche" (von Heinz Schöny).
Am 17. Juni 1982 erhebt der Landtag von Niederösterreich die Gemeinde Kaltenleutgeben zur Marktgemeinde. Eine Markterhebung ist für eine Gemeinde keine Selbstverständlichkeit, sondern an konkrete Voraussetzungen gebunden: Dazu gehört einerseits ein historischer Hintergrund - im vorliegenden Fall erste urkundliche Erwähnung 1521 -, andererseits eine über die eigenen Ortsgrenzen hinausgehende Bedeutung, sie soll aber auch eine Anerkennung für geleistete kommunale Aufbauarbeit sein. Letzteres hält der Landtag bei Kaltenleutgeben auch ausdrücklich fest, indem auf den Ausbau der kommunalen Einrichtungen und auf die Errichtung neuer lebenswerter Siedlungen hingewiesen wird.
Mit der Verleihung, des Marktrechtes verbunden ist auch die Verleihung eines Marktwappens, das in seiner Gestaltung die Lage der Gemeinde in einem der Täler des Wienerwaldes aufzeigen soll, wobei besonders die Randzone zur bewaldeten Umwelt gekennzeichnet wird und überdies die in diesem Gebiet vorherrschenden Laubbäume durch die Wiedergabe eines mit drei Früchten besetzten Eichenblattes angesprochen werden sollen.
So der Wortlaut der amtlichen Begründung für die Wahl der Farben und des Emblems. Die thematische Grundüberlegung war, das relativ enge, geschwungene Dürrliesingtal inmitten von Wäldern und Wiesen symbolhaft darzustellen: In einem grünen Schild ein silberner, rot geränderter schräg-rechts- Wellenbalken, der von einem silbernen, drei Fruchte tragenden Eichenzweig begleitet wird Die aus diesem Gemeindewappen abzuleitenden Farben der Gemeinde sind Grün-Weiß-Rot. So die offizielle Beschreibung.
Die mehrtägigen Feierlichkeiten - sie beginnen mit einer Festsitzung des Gemeinderates mit Totengedenken und Ehrungen am Samstag, dem 23. Oktober, in der Turnhalle sowie einer Volkswanderung am Sonntag - finden ihren Höhepunkt am Staatsfeiertag: Nach einem frühen Weckruf bei der HansCzettel-Wohnhausanlage wird die Hans Czettel-Gedenktafel ebendort enthüllt. Die 'Festmesse in der Pfarrkirche zelebriert Weihbischof Dr. Karl Moser. Nach der anschließenden Erstaufführung des ,,Festmarsches nach alten Kaltenleutgebner Motiven" von Kapellmeister Gustav Fischer kommt es zum Festakt in der Turnhalle, bei dem es Ansprachen von Bürgermeister August Wagner, Landesrat Ernst Höger und Landeshaupt­mann Siegfried Ludwig, eine ortsbezogene historische Darbietung der Volksschüler und viel Musik gibt. In der Professorenvilla ist ein Sonderpostamt für den Kaltenleutgebner Sonderstempel eingerichtet. Der abendliche Dirndlball im Gasthaus Wienerhütte beschließt den denkwürdigen Tag. Den Schlusspunkt setzt am darauf folgenden Samstag Prof. Dr. Heinz Schöny mit seinem Vortrag: "Aus der Geschichte Kaltenleutgebens“. Aus seiner Feder stammt auch der Beitrag ,,Kaltenleutgeben und seine Vergangenheit“ in der lesenswerten, mit vielen historischen und aktuellen Beiträgen versehenen Festschrift, die zu diesem Anlass herauskommt.
Ein knappes Jahr später, im September 1983, wäre die Kaltenleutgebner Lokalbahn 100 Jahre alt geworden. Auch wenn sie in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild längst nicht mehr existiert, können doch noch gute drei Viertel der Strecke befahren werden - somit ein Anlass, den Eisenbahn-Nostalgie-Fans nicht ungenutzt verstreichen lassen können. So ergriff der Verein der Eisenbahnfreunde (VEF) die Gelegenheit, am 17. September seine 128. Sonderfahrt auf der Jubiläumsstrecke durchzuführen, die letztlich zu einer der spektakulärsten und erfolgreichsten in der VEF - Vereinsgeschichte wird. In Zusammenarbeit mit den Gemeinden Kaltenleutgeben, Perchtoldsdorf und mit dem Bezirk Liesing wird ein umfangreiches Rahmenprogramm erstellt mit Festakten in allen drei Orten. Der eingesetzte Sonderzug, der die Strecke im Taktfahrplan viermal befahrt, besteht aus der Dampflok 91.107 - diese Reihe war allerdings auf dieser Strecke nie eingesetzt - und sieben musealen Flachdachwagen und ist jedes Mal voll besetzt. In der Waldmühle ist in der nächstgelegenen Halle des Zementwerkes eine sehenswerte Ausstellung eingerichtet, in der Originalurkunden, Planzeichnungen, Fotos und Modelle zu besichtigen sind. Vor der Halle ist eine uralte Dampfspritze der Petersdorfer Feuerwehr zum Wassern der Lok eingesetzt. Sonderbusse halten die Verbindung nach Kaltenleutgeben aufrecht. Nach Ankunft des "Frühzuges" wird an jenem Gebäude der Hans Czettel-Wohnhausanlage, das an der Stelle des ehemaligen Bahnhofes steht, von drei alten Eisenbahnern, die noch auf dieser Linie ihren Dienst versehen haben (Engelbert Bär und Herr Schröder aus Petersdorf sowie Franz Kritsch aus Kaltenleutgeben) eine Gedenktafel enthüllt. Anschließend findet vor dem Rathaus ein Festakt statt. Ein Sonderpostamt im Bahnhof Liesing erfreut das Herz der Philatelisten.