Folge 8 - Der Personenzugsverkehr wird eingestellt

Peter Nics 

KALTENLEUTGEBEN VON DAMALS BIS HEUTE 

8. Fortsetzung

Der Personenzugsverkehr wird eingestellt
Am 29. Jänner 1951 wird der Personenverkehr auf der Kaltenleutgebner Bahn eingestellt ­offiziell aus Koh1enmangel, obwohl er seit Sommer 1950 mit einer Diesellok abgewickelt wird. Was im Moment nur wie eine vorübergehende Maßnahme aussieht, entpuppt sich bald als endgültig, denn am 25. Mai erfolgt die offizielle Einstellungsverfügung mit gleichzeitiger Auflassung des Bahnhofes Kaltenleutgeben. Eine Hintertür bleibt allerdings einen Spalt offen: Der Personenverkehr durch Bedarfszüge soll davon nicht berührt sein. Jedenfalls wird damit der Regelbetrieb nach 68 Jahren unwiderruflich beendet.
Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass der Kaltenleutgebner Bahn ohnedies eine Galgenfrist von 20 Jahren zugestanden worden war, denn an sich sollte bereits 1931, als die Laxenburger Bahn und die Hinterbrühler Straßenbahn eingestellt wurden, das Aus auch für diese Strecke kommen. Doch gelang es damals, gerade noch das Ärgste zu verhindern.
Zuletzt verkehren an Werktagen sechs und an Sonn- und Feiertagen sieben Zugpaare. Nun wickeln Bahn- und Postbusse den öffentlichen Verkehr ab. Der Ort hat zu dieser Zeit 2060 Einwohner, etwa so viel wie vor dem Zweiten Weltkrieg.
 
Schule und Kindergarten
Ab 10. Februar 1953 kann die von der Gemeinde Wien wiederhergestellte Schule erneut benützt werden. Im Frühjahr desselben Jahres muss der katholische Kindergarten geschlossen werden, weil die Laxenburger Kreuzschwestern keine Nonnen mehr zur Verfügung stellen können. Das Gebäude war bereits ein Jahr zuvor ins Eigentum der Pfarre übergegangen, die nicht nur 1945 die Hauptlast der Instandsetzungsarbeiten getragen sondern auch im Laufe der Jahre bedeutende Zuschüsse zum Betrieb geleistet bat. Für die nächsten zweieinhalb Jahre zieht hier eine Kinderdorffamilie ein. Da es seit einiger Zeit auch eine Kinderbetreuung durch die "Wiener Kinderfreunde" gibt, bleibt die Betreuung der Kinder im Vorschulalter gesichert.
 
Das Randgemeindenproblem wird endlich gelöst
Im Juni 1954 zieht die sowjetische Besatzungsmacht ihren Einspruch gegen das Gebietsänderungsgesetz zurück. Abgesehen davon, dass - wie bereits 1946 vorgesehen - die überwiegende Mehrheit jener Gemeinden, die 1938 zum neu geschaffenen 25. Wiener Bezirk vereinigt wurden (es waren dies die 12 Gemeinden, die ursprünglich zum Gerichtsbezirk Liesing gehörten, sowie Laab im Walde aus dem ehemaligen Gerichtsbezirk Purkersdorf), bei Wien bleiben und den neuen 23. Bezirk ,,Liesing" bilden sollen, werden nun in den restlichen Gemeinden - auch in Kaltenleutgeben! - Stimmen laut, die für einen Verbleib bei Wien votieren. Doch das Gesetz tritt am 31. August wie vorgesehen in Kraft. Somit bleiben bei Wien die ehemalige Stadt Liesing sowie die Ortschaften Atzgersdorf, Erlaa, Inzersdorf, Kalksburg, Mauer, Rodaun und Siebenhirten. Nur Perchtoldsdorf, Breitenfurt, Vösendorf und Laab kehren zusammen mit.Ka1tenleutgeben nach Niederösterreich zurück und werden in den politischen Bezirk Mödling eingegliedert. Die Orte der heutigen Gemeinde Wienerwald und deren südöstliche Nachbargemeinden, die auch wieder niederösterreichisch werden, sind hier nicht angeführt, da sie zum 24. Wiener Bezirk ,,Mödling" gehört haben.
 
Gebietsabtretungen
Am 1. September tritt ein im Parteienverhältnis der letzten Wahl (Nationalratswahl 1953) ernannter Gemeinderat (7 SPÖ, 5 ÖVP und 1 KPÖ) zusammen und wählt Leopold Macher zum Bürgermeister und August Haunzwickl zu seinem Stellvertreter. Der Gemeinderat ist noch nicht einmal konstituiert, da wird bereits um Eingemeindung des Gebietes Tirolerhof ­Schirgenwald nach Perchtoldsdorf angesucht! Und das ist erst der Anfang, denn letztendlich müssen auch die Rotte Wassergspreng an Weißenbach und die so genannte Gießhübler Heide an Gießhübl entschädigungslos abgetreten werden. Alle Proteste der Gemeinde bleiben erfolglos.
Die Gründe für den Verlust von weit mehr als einem Drittel des ursprünglichen Gemeindegebietes können aber letztlich nicht ignoriert werden und sollen hier kurz aufgezeigt werden:
Für das Gut Tirolerhof hat das Wiener Stadtbauamt den Bau von 17 Einfamilienhäusern genehmigt, ohne sich um eine entsprechende Wasserversorgung zu kümmern. Die Folge davon ist, dass das Trinkwasser täglich von der Feuerwehr Brunn zugeführt werden muss und die vorhandenen WC-Anlagen und Bäder unbenützbar bleiben. Eine Eingemeindung in das nahe Perchtoldsdorf liegt auf der Hand. Dazu kommt noch, dass das Gut vom Land Nieder­österreich angekauft, zur Parzellierung für 300 Häuser vorgesehen ist.
Die Rotte Wassergspreng wäre schon immer gerne beim nahen Weißenbach gewesen. Doch stehen dem die unterschiedlichen Gemeindeumlagen entgegen. Kaltenleutgeben hebt wesentlich geringere Steuern ein als Weißenbach, und daher waren vor allem die Bundesforste gegen jede Änderung. Da sich aber im Zuge der Zugehörigkeit zu "Groß-Wien" die Steuersätze vereinheitlichen, fällt dieses Argument weg.
Da die Gießhübler Heide im Besitz der Gemeinde Gießhübl ist und außerdem bis knapp an ihre ersten westlichen Häuser heranreicht, ist eine Eingemeindung eigentlich nur recht und billig.
Objektiv betrachtet sind diese schließlich am 19. Juli 1956 vom Niederösterreichischen Landtag beschlossenen Gebietsabtretungen zwar ein bedeutender Gebietsverlust, von einem nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden kann aber kaum gesprochen werden: Die Aufschließung des Tirolerhofes würde viel Geld kosten, die Siedlung aber wirtschaftlich nie mit Kaltenleutgeben zusammenwachsen. Auch in Wassergspreng würden Straßenbau, Elektrifizierung, Feuerwehr, Schule, allgemeine Verwaltung etc. bedeutende Kosten verursachen, so dass vom Steueraufkommen des Waldgebietes nicht viel übrig bliebe. Und bei der Gießhübler Heide handelt es sich sowieso um eine ertraglose Fläche.