Die inspirierende Geschichte der Professorenvilla, die nicht alltäglichen Einblicke in unser Markt-Archiv und Heimatmuseum auf der Hauptstraße 74 gewährte, war in Verbindung mit der Erfolgsgeschichte des Eigentümers eine sehr gute Gelegenheit, Mitglieder der Winternitz Familie persönlich kennenzulernen.
Vier Nachkommen von Geschwistern von Willhelm Winternitz, dem Gründer der berühmten 3. Wasserkuranstalt in Kaltenleutgeben waren anwesend und beteiligten sich an der Präsentation. Zwei Nachkommen von Ludwig Winternitz, Willhelms Bruder, dem ursprünglichen Eigentümer des Ludwig- und des Emilien-Hofes auf Hauptstraße 97 und 98. Zwei weitere von Willhelms Schwester Franziska, die als Fanny bekannt war. Sie wuchsen in der Villa Irene in der Promenadegasse 47 auf, die noch heute im Besitz der Familie ist und die nahe der Villa Leopold auf Promenadegasse 30 liegt. Dort wohnte Fanny mit ihrem Ehemann Leopold Pick, daher der Hausname.
Unser Professor und Begründer der Hydrotherapie, Dr. Willhelm Winternitz, lebte 24 Jahre lang in seiner privaten Villa, die an die Kuranstalt angeschlossen war, zusammen mit seiner Gattin Lydia. Es ist sehr empfehlenswert, ihre Gedenkstätten zu besuchen, und aus diesem Grund möchte ich sie hier beschreiben.
![Willhelm Winternitz]()
Das Grab von Dr. Wilhelm Winternitz, der im Ersten Weltkrieg 1917 verstarb, befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof im Alten Jüdischen Teil. Über den Eingang durch das Tor 1 gelangen Sie zur Gruppe 52A, Reihe 1, Grabnummer 14. Es ist ein besonderes Erlebnis, in diesem weitgehend von der Natur zurückeroberten Teil des Friedhofs plötzlich vor einem Grabstein zu stehen, der wie neu wirkt. Hier ruht unser großer Meister, umgeben von bekannten Persönlichkeiten wie Karl Goldmark, dem österreichischen Komponisten jüdischer Herkunft. Sein berühmtestes Werk ist die Oper "Die Königin von Saba", die 1875 uraufgeführt wurde und die ihn über Nacht berühmt machte. Links neben ihm auf Grabnummer 15 befindet sich der Grabstein mit der Inschrift: "Hier ruht kaiserlicher Rat Dr. Theodor Lieben, Erster Sekretär der israelitischen Kultusgemeinde Wien."
Nach seinem Tod lief der Kurbetrieb verwaltungstechnisch als Aktiengesellschaft weiter und endete nach düsteren Zeiten wie dem Zerfall der Monarchie und der Weltwirtschaftskriese 1937 mit dem Konkurs. Die Nationalsozialisten erwarben 1938 die alte Kuranstalt und verwandelten sie mitsamt der Professorenvilla in die SA-Kaserne "Feldherrnhalle".
![Lydia Winternitz]()
Wie unzählige andere tragische Schicksale endete das Leben von Lydia Winternitz im Holocaust. Es erfolgte ihre Deportation von Wien ins Ghetto Litzmannstadt in Polen, einem Sammellager des NS-Staates als Zwischenstation in die Vernichtungslager. Sie ist am 06.06.1942 im Alter von 82 Jahren am Weg dorthin verstorben. Verantwortlich für diese Taten an insgesamt 185.000 österreichischen Juden ab 1940 war der Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach. Die Erinnerung an Lydia Winternitz finden wir mit vielen weiteren Holocaust Opfern dieser Familie unter den alphabetisch angeordneten 64.440 eingravierten Namen der in 160 oval angeordneten Steintafeln der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte. Dieses Mahnmal für diese Anzahl ermordeter jüdischer Kinder, Frauen und Männer aus Österreich befindet sich im Ostarrichipark im Zentrum des Otto-Wagner-Platzes im 9.Wiener Gemeindebezirk Alsergrund. 2021wurde es im Beisein wichtiger Vertreter der Bundesregierung eröffnet und der Initiator ist der Holocaustüberlebende Kurt Yakov Tutter, der sich 20 Jahre lang für die Errichtung in Wien einsetzte. Die Namensliste der Opfer wurde unter Einbeziehung von Angehörigen und Nachkommen vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes recherchiert und erarbeitet.
Somit ist die Professorenvilla nicht nur eines unserer wertvollsten kultur-Denkmäler, sondern auch ein Mahnmal, das an die unvorstellbare und jederzeit wieder mögliche Grausamkeit unserer Geschichte erinnert. Daher gibt es ein von Bürgermeisterin Bernadette Geieregger BA und der geschäftsführenden Gemeinderätin für Kultur Theresa Edtstadler-Kulhanek MSc eingeleitetes Projekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung zum jüdischen Gedenken im Ort, worüber sicher noch ausführlicher berichtet werden wird.
Durch eine Ausschreibung wurde eine berufsbegleitende Lehrerin für dieses Projekt gewonnen. Sie wird ihre Diplomarbeit unterstützt vom Archiv dem Studium jüdischer Familien widmen, um die jüdische Geschichte Kaltenleutgebens zu erfassen. Der Schwerpunkt liegt auf der detaillierten Untersuchung spezifischer Familiengeschichten und deren Einfluss, festgehalten in einer wissenschaftlichen Dokumentation.
Ein weiteres Ziel ist die Installation einer Gedenktafel oder von "Stolpersteinen". Diese Gedenksteine gibt es bereits in 30 europäischen Ländern seit 30 Jahren und sie erinnern an die Schicksale der NS-Opfer, die in den Gemeinden gelebt haben. Frau Mag. Irene Kaufmann aus unserem Ort hat diesen Vorschlag bereits im BürgerInnenbudget 2022 vorgebracht und davor schon das Thema der Aufarbeitung in der Gemeindeleitung beantragt.