Folge 17 - Das Rote Kreuz am Lattermaiß

 Peter Nics 

Kaltenleutgeben von damals bis heute

17. Fortsetzung

Das Rote Kreuz am Lattermaiß
Jedes Jahr am Sonntag nächst Maria Geburt (8. September) pilgern die Pfarren Kaltenleutgeben und Breitenfurt zum so' genannten Roten Kreuz, das auf dem Höhenrücken steht, der die Grenze zwischen den beiden Ortschaften bildet. Der Grund für diese jährliche Prozession ist ein. Gelöbnis der Breitenfurter, sich einmal in jedem Jahr daran zu erinnern dass sie als Einzige weit und breit 1713/14 von der Pest verschont geblieben sind. Vermutlich haben die Kaltenleutgebener, die allerdings 60 Pesttote zu beklagen hatten, dasselbe für das Aufhören der Seuche gelobt.
Aus Dankbarkeit errichteten die Breitenfurter Bauern an jener Wegscheide, die am Scheitel des Lattermaißberges liegt, an Stelle eines bereits vorhandenen Wegmarterls ein einfaches' Holzkreuz mit einem" auf: Blech gemalten Christus-­Corpus. Wegen seines rötlichen Anstriches wurde es bald nur mehr das Rote Kreuz genannt.
Dieses "alte" Rote Kreuz, mehrfach renoviert (1792, 1849, 1883 und 1930), wurde leider ein Opfer der Kampfhandlungen im April 1945, als das Kaltenleutgebener Tal tagelang heiß umkämpft war. 1948 errichteten diesmal Kaltenleutgebener Bürger aus Dank für ihre glückliche Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft ein ,,neues" Rotes Kreuz aus Kunststein. Dieses Heimkehrerkreuz setzt aber zugleich die Tradition des Pestkreuzes fort und bietet weiterhin für beide Ortschaften Grund für die jährliche Dankprozession un4 Dankandacht.
Ursprünglich stand an einem alten Verbindungsweg, der von Hochroterd durch den Rechten Graben über das Wiesenw1rtshaus in Breitenfurt zum Hirschentanz und weiter über den Lattermaißberg nach Kaltenleutgeben führte, ein Wegmarterl, das an einen Doppelmord, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an dieser Stelle verübt worden sein. soll, erinnerte. Das damals etwa hundertjährige Marterl wurde aber nicht vollständig durch das Pestkreuz ersetzt, denn es ist überliefert, dass noch Ende des 19. Jahrhunderts an der Rückseite des Kreuzesstammes eine kleinere, bereits rostzerfressene ovale Votivtafel aus Blech angebracht war, auf der allerdings nur mehr drei mit ungelenker Hand und in schon stark verblassten Farben gemalte Figuren einigermaßen deutlich zu erkennen waren: im Vordergrund eine weiß gekleidete Frau, die sich mit erhobenen Händen vor den Säbelhieben eines Soldaten zu schützen versucht; zu ihren Füßen blutbefleckt ein Jäger.
Zu dieser Votivtafel passt eine lokale Sage, die damals noch da und dort zu hören war. Der mit der Familie Winternitz verschwägerte Albrecht von Teschenberg hat sie 1896 veröffentlicht. Teschenberg, ein Redakteur des renommierten "Wiener Tagblattes", dürfte die Sage zwar noch im Gartenlaubenstil bearbeitet haben, aber der Handlungskern der "Forstmannssage", wie er sie nennt, deckt sich im Großen und Ganzen mit der Kurzfassung Josef Lederers. Hier der Handlungsfaden nach Teschenberg:
Vor langer Zeit war das Dürrliesingtal noch undurchforstete Wildnis mit nur wenigen Huben (kleine Bauernwirtschaften) und Hütten. In der Parzer-Hube lebte eine betagte Witwe mit ihrem tüchtigen Sohn Friedl, der mit einem Mädchen namens Heidl ging. Eines Tages musste er zu den Soldaten. Als er nach sieben Jahren wieder entlassen wurde, kehrte er auf kürzestem Weg in sein geliebtes Heimattal zurück. Als Erstes traf er auf den befreundeten Köhler Jörgl, der sehr erstaunt über sein Wiederkommen war, da er angeblich vor Wien gefallen sein sollte. Nun musste Friedl die traurige Nachricht vom Tod seiner geliebten Mutter erfahren, aber auch hören, dass sein Mädchen, da es ihn für tot hielt, in wenigen Tagen den Breitenfurter Jäger Hans heiraten wollte. Friedls erster Weg führte ihn auf den Friedhof neben der dem heiligen Jakobus geweihten Kapelle zum Grab seiner Mutter. In sein Vaterhaus konnte er aber nicht mehr zurück, da es nur ein Leihegut des Grafen von Wildegg war, der es mittlerweile an seinen Jäger Hans weitergegeben hatte. So irrte Friedl, Rachepläne schmiedend, durch die Wälder und traf ganz zufällig auf eine Schar alter Kriegskameraden, denen er sich kurzerhand anschloss. Wenige Tage später fand in der Kirche des Breitenfurter Schlosses unter Beisein des Grafen die Hochzeit von Hans und Heidl statt. Bei Einbruch der Dämmerung machte sich die Frischvermählten auf den Heimweg über den Lattermaißberg, wo ihnen der Parzer-Friedl mit seinen Spießgesellen auflauerte. Erst nach Tagen fand man, eher zufällig, die inzwischen bereits
Vermissten, ermordet und übel zugerichtet an jener Stelle, wo noch heute drei alte Eichen stehen. Das war die Rache des Parzer-Friedls.
Der 1951 verstorbene Kaltenleutgebener Oberlehrer Josef Lederer hat die Sage ebenfalls aufgezeichnet. Sein Gewährsmann war der k. k. Förster Thomas Hlawacek, der von 1886 bis 1906 in Kaltenleutgeben seinen Dienst versah und durch einen Waldarbeiter Kenntnis von dieser Sage erhalten hatte.
1972 entdeckte der frisch installierte Pfarrer Franz Reiter auf dem Kirchendachboden ein von Maschinengewehrschüssen durchsiebtes, rostiges Blechkreuz - eben den Corpus des "alten" Roten Kreuzes. Er ließ ihn restaurieren und "1980, an ein Holzkreuz montiert, auf dem Kirchenvorplatz aufstellen. Leider war die neue Bemalung wider Erwarten nicht mehr wetterfest. Der wiederum, diesmal fast bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Corpus wird nun auf dem Dachboden des Pfarrhauses aufbewahrt.