Folge 29 - Heinrich Schöny

 Peter Nics

Kaltenleutgeben von damals bis heute

29. Folge

Im Vorjahr starb der namhafte Wiener Ahnenforscher Prof. Dr. Heinz Schöny, dessen familiäre Bindungen auch nach Kaltenleutgeben reichten: Sein Großvater Johann Schöny war von 1886 bis 1923 Gemeindesekretär und die Familien Weiß und Hochkogler zählen zu seiner Verwandtschaft. Der auf Kaltenleutgeben bezogene Nachlassteil (vorwiegend von seinem Vater Heinrich stammend) wurde dankenswerterweise dem Gemeindearchiv übergeben. Der folgende Bericht, verfasst vom Vater, dem Pädagogen, Komponisten und Chorleiter Heinrich Schöny, der Kindheit, Jugend und Berufsjahre teilweise in Kaltenleutgeben verbracht hat, befindet sich darunter.
 
Seltsame Begegnung mit einem Berühmten
Mein Vater war Leiter der Gemeindekanzlei, „Sekretär“, in einem ungefähr von zweitausend Menschen bewohnten Kurort des Wienerwaldes, ein strenger, gerechter, gewissenhafter Beamter, dem jedwede Falschheit und List fremd war, und ein ebensolcher Familienvater.
Er war größtenteils in Wien aufgewachsen, da er dort die Realschule und die Technik besuchte, und dadurch der Musik und dem Theater sehr zugetan geworden. Meine Mutter sang sauber und rein, in jungen Jahren froh und glücklich im Kirchenchor.
Die drei Söhne dieses vorbildlichen Elternpaares brauchten zur edlen Tonkunst nicht angehalten zu werden, sie brachten die Neigung zu dieser in ihr Leben mit und fühlten sich beglückt, dass ihnen der Vater zunächst drei Geigen, später auch ein Harmonium und ein Klavier, zur Verfügung stellte und sie frühzeitig, schon im neunten Lebensjahr, im Gebrauch dieser Instrumente unterrichten ließ. Besonders ich, der jüngste der drei Brüder, betätigte mich als Kind bereits eifrig musikalisch, sodass der Kirchenchorleiter, der zugleich mein Volksschul- und Musiklehrer war, mich in meinem elften Lebensjahr an die Kirchenorgel setzen konnte. Meine in damaligen Wintern erfrorenen Hände fallen heute noch bei geringer Kälte durch ihre blaurote Färbung auf.
Aber wovon ich eigentlich erzählen will, das hat sich im Hochsommer zugetragen, und ich bin dazumal dreizehn Jahre alt gewesen.
Es war Sonntag Vormittag in der Kirche, ich war allein auf der Empore, saß auf der Orgelbank und hatte mich eben redlich bemüht, vom G-Dur des Segenliedes – der Messhandlung wurde seinerzeit vom Priester eine Segnung mit dem Allerheiligsten vorausgeschickt – möglichst einwandfrei in die mir etwas fernliegend erschienene Tonart B-Dur zu gelangen, in der die „Deutsche Messe“ vom Bruder Michael des großen Josef Haydn mit den Worten „Hier liegt vor Deiner Majestät“ beginnen sollte, als ein unauffällig in den Chorraum getretener, stattlicher älterer Mann – als solcher bot er sich wenigstens meinen kindlichen Augen – mich kurzerhand von meinem Sitz schob und, mir ungewohnt, vollgriffig das erste Lied von Michael Haydns Werk zum Gesang der Andächtigen spielte. Verblüfft stand ich daneben, hatte währenddem doch die Fassung soweit bewahrt, den sonderbaren Gast genau anzuschauen.
Diesen Kopf mit dem schütteren Haarwuchs, mit dem Vollbart im Antlitz, hatte ich irgendwo gesehen, war mir von irgendwoher bekannt. Viel Muße zur Betrachtung und zum Nachsinnen blieb mir jedoch nicht, denn der Herr verließ mich wieder ohne ein Wort zu sprechen und ich musste doch weiterspielen.
Mein Vater bewahrte in einer Mappe die Abbildungen berühmter Männer und Frauen, die er den Zeitungen und Zeitschriften entnommen hatte; den Inhalt dieser Mappe durchstöberte ich und fand ein ganz kleines Blättchen, nicht größer als eine halbe Eisenbahnfahrkarte, mit dem Bildnis des Mannes, der zu mir zur Orgel gekommen. Das war er, jubelte ich, und mein Vater bestätigte, dass der Gesuchte und Gefundene zum Sommeraufenthalt in unserem Kurort gemeldet war.
Kurz vorher hatte ich Gefallen an dem Künstler gefunden, da ich eine seiner Ouvertüren mit ihren bezwingenden Melodien mit meinem älteren Bruder, dieser auf der Geige, ich auf dem Harmonium, zur Hochzeitstafel meiner Tante, schlecht und recht nach wochenlangem Üben, vorgetragen hatte. Ja, das war der Komponist von „Dichter und Bauer“, der mir die Orgelbegleitung zum ersten Gesang des „Hier liegt vor Deiner Majestät“ weg- oder abgenommen hatte: Franz von Suppé. Damit der Zauber ganz wurde, sagte mir mein Vater, dass Suppé im Haus, das „Rübezahl“ benannt war und heute noch ist und damals einem meiner Onkel gehörte, während zweier Sommer wohnte. Im dritten Sommer kam er nicht mehr, er war gestorben.
Der Kurort selbst ist das im Zweiten Weltkrieg arg verwüstete Kaltenleutgeben im Dürrliesingtal. 
 
Anmerkung: -
Die geschilderte Begegnung fand Sommer 1893 oder 1894 statt. Suppé ist im Frühjahr 1895 verstorben. Gewohnt hatte er im Haus Hauptstraße 106, dass noch heute die Aufschrift „Rübezahl“ trägt.
P.S. Leider hat in der vorigen Folge dieser Serie unbemerkt ein Computerteufelchen mitgewirkt und so fielen sämtliche Hervorhebungen (Kursiv- und Fettschriften, Unterstreichungen) weg. Ich ersuche um Nachsicht, wenn dadurch der Text an Verständlichkeit eingebüßt haben sollte.