Folge 3 - Karl Emmel

Peter Nics 

KALTENLEUTGEBEN VON DAMALS BIS HEUTE 

3. Fortsetzung

Karl Emmel

Wesentlich bescheidener nimmt sich Emmels Wasserheilanstalt aus. Nach Johann Emmels Tod (1868) übernimmt sein Sohn Kar! (1840 - 1918) - er erwirbt sein Arztdiplom an der Karl Franzens-Universität in Graz - die Leitung. Obwohl er die Anlage im Laufe der Jahre ausbaut, bringt er es „nur“ auf insgesamt sieben selbständige Häuser, die sich fast alle in einer hübschen, sehr schattigen Parkan1age befinden. Das heute noch bestehende und vor einigen Jahren revitalisierte Gebäude ist bei weitem das größte und wird deshalb auch jenseits von Bach und Straße errichtet. Auch Emmel verfügt über ein Institut für schwedische Heilgymnastik und über ein Theater, das aber nicht professionell bespielt wird, sondern von den Kurgästen für selbst gestaltete Laienaufführungen benutzt werden kann. .
Für Kurgäste, die eine etwas persönlichere Note bevorzugen, und für Sommerfrischler stehen rund 100 private Wohnungen bzw. Zimmer zur Verfügung. Alles in allem beträgt die Jahresfrequenz um die Jahrhundertwende im Schnitt 3.000 Gäste bei etwa 70.000 Übernachtungen.

Prominente Kurgäste                                                                                             
Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass sich zahlreiche bekannte Persönlichkeiten des In- und Auslandes zeitweilig in Kalten1eutgeben aufhalten: Der polnische Dichter und Literaturnobelpreisträger von 1905 Henry! Sienkiewicz (1846-1916) kommt zwischen 1885 und 1896 elfmal und schreibt hier auch an seinem berühmten Roman "Quo vadis?"; der amerikanische Dichter Mark Twain (1835-1910) - wer kennt nicht Tom Sawyer und Huckleberry Finn ! - wohnt den Sommer 1898 über in der Villa Paul-Hof: Karlsgasse 3; der österreichische Dichter Ferdinand von Saar; zahlreiche Schauspielerinnen und Schauspieler des Hofburgtheaters wie Helene Odilon, Auguste Wilbrandt-Baudius, Charlotte Wolter,Ernst Hartmann, Jose! Lewinsky, Adolf Sonnenthai, Hugo Thimig; der Operettenkomponist Franz von Suppe; der stilprägende Maler Hans Makart; die Fürstin Pauline Metternich... und als eine der letzten Berühmtheiten der weltbekannte polnische Tenor Jan Kiepura (1902-1966), der häufig Gast im Haus Dr.Tennenbaum auf Promenadegasse 37 ist.
Der Überlieferung nach gibt es im ,,Promenadenkaffee“ des Herrn Trost einen Pfeiffenklub, dem die führenden Sozialdemokraten Dr. med. Viktor Adler - er ist ein Studienkollege von Professor Winternitz , Engelbert Pernerstorfer, Ludwig Bretschneider und der spätere Wiener Bürgermeister Karl Seitz als Mitglieder angehören.

Die ersten Kalk-Hochöfen
1846 wird der erste Kalk-Hochofen bei der Waldmühle errichtet, bald darauf einer bei Kaltbrunn. 1850, Kaltenleutgeben hat rund 650 Einwohner, finden auch die ersten freien Gemeinderatswahlen statt, der Ortsvorsteher heißt ab nun Bürgermeister und - unabhängig davon - der Lokalkaplan Pfarrer. 1871 erwirbt Emanuel Tichy das Werk Kaltbrunn und bald darauf auch die Kalkgewerkschaft Stollwiese. 1872 ist das Gründungsjahr des Männergesangsvereines und 1873 das der Freiwilligen Feuerwehr. 1874 wird der Friedhof bei Kaltbrunn aufgelassen, um dem Kalkwerk mehr Raum zu geben, und auf der Stierwiese wird der neue, noch heute existierende Waldfriedhof  eingeweiht. 1875 löst ein längst fälliger Schulneubau auf dem Gelände des ehemaligen Forsthauses die viel zu klein gewordene alte Schule in der Promenadegasse unterhalb der Kirche ab (das Gebäude steht noch heute). Die Einwohnerzahl hat bereits die Tausendermarke überschritten: 1.266 Personen sind es im Jahre 1880.

 Die Eisenbahn
Am 18. August 1883 geht für Kaltenleutgeben ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung. Endgültig sind nun jene Zeiten vorbei, in welchen man eher umständlich und zeitaufwendig aus Wien anreisen mußte. Nachdem verschiedene Projekte wie Schmalspurbahn oder Dampftramway ad acta gelegt sind, kann 1882 mit dem Bau einer normalspurigen, eingleisigen Lokalbahn begonnen werden, die teilweise den Charakter einer Gebirgsbahn hat und steigungsmäßig an einer Stelle sogar die Semmeringbahn geringfügig übertrifft. Das macht die Konstruktion von zwei Spezia1lokomotiven, die zwar kleiner, dafür aber stärker als die sonst üblichen sind, notwendig. Probleme gibt es auch mit der Endstation. Die sieben Kilometer lange Strecke, die von der Südbahnstation Liesing zuerst durch die Weinberge um Rodaun und Perchtoldsdorf und dann durch das immer enger und romantischer werdende Dürrliesingtal führt, endet abrupt im Unterort von Kaltenleutgeben, weil der wenige Platz, den Bach und Straße übrig lassen, bereits restlos verbaut ist.
So müssen auch weiterhin alle Ankommenden, wenn sie zu den im Ortszentrum gelegenen Kuranstalten wollen, in Stellwagen, Fiaker oder Einspänner umsteigen, um den knappen Kilometer zur Winternitz’schen oder die eineinhalb Kilometer zur Emmel'schen Wasserheilanstalt zurückzulegen. Der Weg führt die Hauptstraße entlang, die zu beiden Seiten Geschäfte, Gasthäuser und Gewerbebetriebe säumen.
Die Bahn findet so großen Anklang, daß in den Sommermonaten täglich bis zu 23 Zugspaare verkehren und in den Wintermonaten 12. Eine Fahrt dauert fahrplanmäßig 22 Minuten. Weil die Bahn so erfolgreich ist, trägt man sich mit dem Gedanken, sie bis zur Westbahn zu verlängern. Die Trasse soll dabei oberhalb der Promenadegasse und unterhalb von Kaltbrunn über die Eiswiese sowie durch den Pfarrgarten zwischen Kirche und Pfarrhof in Richtung Sulz weitergeführt werden. Dazu kommt es dann aber doch nicht.

 "Perlmooser"
1886 wird das Kalkwerk Stollwiese vom Werk Kaltbrunn wieder abgetrennt und untersteht als
Kaltenleutgebener Cementfabrik der Geschäftführung von Theodor Pierus. Bereits 1894 wird sie mit anderen Zementbetrieben zu den Perlmoser Zementfabriken vereinigt. Die Kalkgewerkschaft Kaltbrunn bleibt weiter bestehen und stößt erst nach dem Ersten Weltkrieg zur "Perlmoser".
1889 wird ein Gendarmerieposten errichtet, 1898 ersetzt das Rathaus das alte Amtshaus der Gemeinde (vormals Forsthaus). Im selben Jahr wird eine Kinderbewahranstalt (=Kindergarten) eröffnet, 1900 die öffentliche Gasbeleuchtung eingeführt. Die Einwohnerzahl ist bereits auf 2. 119 Personen angewachsen, die in 264 Häusern leben. Bereits 1903 muss das einstöckige Schulhaus aufgestockt werden.