Peter Nics
KALTENLEUTGEBEN VON GESTERN BIS HEUTE
52. Folge
Ein Forsthaus, ein Gemeindehaus, eine Volksschule und ein Rathaus
1811 übernimmt die Waldamtsherrschaft Purkersdorf das Forsthaus in Kaltenleutgeben Nr. 31 (inkl. der Gartenparzelle Nr. 44). Vermutlich tilgt das Waldamt dafür Gemeindeschulden, die noch aus der Zeit der Franzoseninvasionen (1805 & 1809) herrühren. Dazu schreibt Rudolf Weiß in seiner „Chronik“:
„Während der Franzosenkriege in den Jahren 1805 und 1809 gab es mancherlei Müh- und Drangsal durch die Invasion. Aus einem Beschwerdeakt und aus den Gemeinderechnungen geht hervor, dass die Soldateska, die in Perchtoldsdorf einquartiert war, öfters requirieren kam. ... Jedenfalls wies die Gemeinderechnung 1810 eine bedeutende Summe als Schuld aus diesen Requirierungen auf. Die Schuld war dann in den nächsten Jahren aus der Jahresrechnung verschwunden, ohne dass die Zahlung aufschien. Dafür war das Gemeindehaus und das Jägerquartier in den Besitz der Waldamtsherrschaft übergegangen.“
Aufgrund der Neuordnung des Forstbezirkes Mitte der 1870er-Jahre wird es nun zum Verkauf angeboten. In diesen Jahren kauft Prof. Dr. Winternitz, der dabei ist, seine Kuranstalt wesentlich zu erweitern, alle, nach entsprechender Adaption für einen Kurbetrieb geeigneten Gebäude auf. Verständlicherweise will er auch das Forsthaus (ob schon damals von der Gemeinde mitbenützt, ist unklar), das mit der Gartenparzelle Nr. 44 unmittelbar an sein altes Kurhaus anschließt, unbedingt erwerben. Die Gemeinde, die von der Schulbehörde den Auftrag erhalten hat, ein neues Schulgebäude zu errichten – die alte Schule unter dem Kirchenfelsen kann nicht mehr erweitert werden, weshalb eine Klasse bereits in den Sieglhof ausgelagert werden muss – ist schockiert, da sie für diesen Zweck eben diese Liegenschaft ins Auge gefasst hat.
Was tun? Es ist Pfarrer Jakob Bauer, der es in die Hand nimmt, das ehemalige Försterquartier (als Gemeindehaus vorgesehen) plus dazugehöriger Gartenparzelle, die entsprechend groß ist, um auf ihr ein Schulgebäude errichten zu können, für die Gemeinde zu retten. Und er lässt sich auch nicht davon abhalten, dass die Forst- und Domänendirektion (heute Bundesforste) Dr. Winternitz vermutlich bereits im Wort ist. Kurzerhand suchen er und Bürgermeister Anton Wagner um eine Audienz beim Kaiser an, die ihnen auch gewährt wird. Kaiser Franz Josef ordnet daraufhin an, dass an die Gemeinde zu verkaufen sei und dass die für den Schulneubau vorgesehene Gartenparzelle abgetrennt werden darf.
Am 22. Februar 1875 wechselt die Liegenschaft um 11.200 Gulden ihren Besitzer. Dr. Winternitz erweist sich als fairer Verlierer und ermöglicht durch den gleichzeitigen Erwerb des Gemeindegasthauses (Posthof) sogar diesen Ankauf, der sonst die Gemeinde in Schulden gestürzt hätte. Noch im selben Jahr, am 3. August, kann die neue, einstöckige Volksschule eröffnet werden! Es stehen nun vier Klassen, ein Lehrmittel- und ein Konferenzzimmer für den Schulbetrieb zur Verfügung.
Das alte Forsthaus dient noch zwei Jahrzehnte als Amtshaus. 1895 beschließt der Gemeinderat, einen Umbau des nicht mehr zeitgemäßen Hauses vorzunehmen. Als 1897 die Gemeinde die langersehnte Genehmigung zur Einrichtung eines ärarischen (= staatlichen) Postamtes erhält, und zwar unter der Voraussetzung, dass sie geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, geht es Schlag auf Schlag. Gerade diese Bedingung wird nun zum unmittelbaren Anlass für die rasche Errichtung eines neuen Gemeindeamtes. Als mittelbarer Anlass ist aber wohl das nahe 50-jährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs (1898) anzusehen.
Von den aufgrund einer Ausschreibung eingereichten Plänen wird der Entwurf des Architekten Eugen Sehnal, eines langjährigen Sommergastes, ausgewählt. Die Ausführung obliegt für 30.000´- Gulden dem einheimischen Maurermeister August Haunzwickl. Am 20. September wird mit der Abtragung des ehemaligen Forsthauses begonnen. Bereits am 18. Oktober findet die feierliche Grundsteinlegung statt.
Der dem Grundstein beigegebenen Bauurkunde ist u. a. zu entnehmen:
„Wir, Bürgermeister, Gemeinderäte und Gemeindeausschüsse, als am 7. Juni 1894 freigewählte Gemeindevertretung von Kaltenleutgeben mit Wasserspreng, Schirgenwald, Neuweg, Orts- und Katastralgemeinde im politischen und Gerichtsbezirk Mödling im Herzogthume Österreich unter der Enns, mit 21,26 Quadratkilometern Flächeninhalt, 261 Häusern und ca. 1700 Einwohnern, beurkunden hiemit zum Wissen unserer Nachkommen, daß wir am 21. November 1895 beschlossen haben, den Umbau des von der Gemeinde Kaltenleutgeben mit dem Kaufvertrage vom 22. Februar 1875 vom hohen k. k. Ärar mit Allerhöchster Genehmigung vom 14. September 1874 für Schulzwecke angekauften Hause No. 31 samt Gartenparzelle No. 44 in Kaltenleutgeben, welches vordem ein k. k. Forsthaus mit dem Amtssitz eines k. k. Försters war und welches seither als ein Amtshaus der Gemeinde benützt wurde, vorzunehmen...
Mit dem aufrichtigen Wunsche, daß in dem neuen Amtshause sowie in unserer Gemeinde überhaupt stets Friede und Eintracht herrschen und die Entwicklung und das Gedeihen der Gemeinde, wie erfreulicherweise in den letzten dreißig Jahren - im Jahre 1869 wurden 148 Häuser mit 888 Einwohnern gezählt - fortschreiten möge, schließen wir unseren feierlichen Act, indem wir gleichzeitig der huldvollen Allerhöchsten Gnadenacte gedenken, mit einem dreimaligen Hoch in tiefster Ehrfurcht und Dankbarkeit auf den Geber und Beschützer der Gemeindeautonomie, unseren geliebten Kaiser Franz Joseph I.
So geschehen zu Kaltenleutgeben am achtzehnten October Eintausendachthundertneunzigundsieben. ...“
Im Sommer 1898 wird das Rathaus seiner Benützung übergeben. Das darin eingerichtete Postamt wird 2010 geschlossen.