Peter Nics
KALTENLEUTGEBEN VON DAMALS BIS HEUTE
65. Folge
Herr Gaheis fährt mit seiner Großmutter etwa A.D. 1798
zum Kaltenleutgebner Jacobi-Kirtag
(2. Teil)
Noch war ein Weilchen bis zur Mittagsstunde übrig. Ein kühner Fels, der hinter dem Wiesengrunde, aus dem Waldgebüsche sich aufthürmt, zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. Einen aus unserer Gesellschaft wandelte die Lust an, ihn zu besteigen. Er eilte nochmahls über die Kirchenwiese und verfolgte den Weg, der sich hinter dem Pfarrhause unter dem Schatten der Bäume bergan hebt, und abwechselnd eine Aussicht auf das nackte, nur hier und da mit altem Moose überwachsene Gestein anbiethet. Wie sich ein Stück über das andere in stumpfen Kegeln ungleich erhebt! Wie sich auf seinen höchsten Zinnen krüppelhafte Bäumchen hervor drängen! Wie die grauen Wände ihr ehrwürdiges Alter den jungen Wäldern umher verkünden! – Ein gäher Fußsteig im rauschenden Laube, von Haseln und Buchen umwölbt,
windet sich in die Gegend des Felsschloßes – denn so hat ihn spielend die Natur geformt – einsam hinan. Itzt rollt ein loser Stein unter dem Fußtritt ins Thal hinab, und itzt flieht schüchtern die Eidexe den unwillkommenen Fremdling.
Oder will sie ihn vor dem sich allmählich verlierenden Pfade warnen? Umsonst! Der neugierige Mensch dringt durch weglose Wildniß, durch verwachsenes Dickicht, um seinen Zweck zu erreichen. Nun erscheint der Fuß der Felsmasse. Durch Sturm und Wetter mürbegemachtes, herabgerißenes Gestein bildet einen jähen Hügelgrund am Felsen. Unsichere Stufen für Kletterer, die unter jedem Tritt rauschend und rollend zurückweichen! Doch ward der Hauptfels glücklich erreicht, und auf moosichten Vorsprüngen bis über die Hälfte mühsam erklettert. Hier biethet sich unter dem Schatten einer Steinbuche Moos und Gras zum angenehmen Lager dar. –
[…] Ich sog (so erzählte der Kletterer bey der Zurückkunft den Seinen) erquickende Luft […] in vollen Zügen mit hebender Brust ein. Zugleich übersah ich […]die zwar eng begrenzte, doch tausendfach abwechselnde Gegend umher. Da liegt vor mir hin eine Wiese, über die sich einzelne Menschen, wie bunte Puppen fortbewegen! Dort ruhet und lächelt im hellesten Sonnenschein ein Theil des friedlichen Dorfes! Ueber diesem öffnen sich die gelben Kalkgründe der angegrabenen Berge, ringsum mit dem mannichfaltigsten Berggrün geschmücket! Wie sein zackichtes Ende dem reinen Blau des Himmels rundherum die dunkle Grenze zieht! Ich stehe auf, und zähle die Hügel, welche dieß glückliche Thal in ungleichen Entfernungen umzingeln. Ich zählte ihrer zwölf, als ich weit hinter ihnen, wie im Miniaturgemählde den Theil einer freundlichen Stadt (vielleicht der Residenzstadt) erblickte. Wer gibt mir Worte, dieses Bild einer durch die Oeffnung naher, dunkler Berge hereinblickenden, weitentfernten bläulichten Landschaft nachzumahlen? […] Ich sinke von unaussprechlicher Wonne gewiegt, auf mein Lager, auf meinen geweihten Naturaltar hin.
[…] Da erscholl mir aus dem Kirchthurme herauf das Glockenzeichen zum Mittagsgebethe. Wen traf je der Ruf einer Glocke so zur Andacht gestimmt? – wie ganz anders bethet man hier, - hier, nur von Gott und dem Gewissen bemerkt, - als unter den Menschen, die kleinlich die Zeichen beurtheilen, weil sie das Herz nicht sehen können. – Nicht ohne Schauder vor dem Abgrund, der sich vor mir öffnete und der gefährlicher war, als ich es im Hinaufklettern bemerkte, ließ ich mich langsam , an Felsecken, oder Wurzeln mich klammernd, in die Tiefe hinab, um wieder in den Zirkel der Freundschaft zu eilen.
Schon war die ganze Gesellschaft im Gasthause an dem langen Tische versammelt. Reinliches Tuch und Tischgeräth bedeckte denselben. Neben kleinen irdenen Tellern glänzten die neuen zinnernen Löffeln, und in großen Flaschen funkelte braunes Bier oder goldener Wein. Bald dampfte stärkende Suppe auf der Mitte der Tafel, und bald nach dem Genuße derselben wurde das erste Glas auf das Wohl der zufrieden lachenden Großmutter […] angestossen und ausgeleeret.
Sehnsuchtsvoll erwartete unterdeß das junge Volk des Dorfes unter der Laubhütte die Stunde zum Tanze, fröhlich versuchten die begeisterten Musikanten die nahrungsreichen Instrumente. Allein noch war die Christenlehre nicht geendet, noch war es nicht erlaubt, sich dem Vergnügen zu schenken. Itzt aber strömte die fromme Menge über die Kirchenstiege herab, und eilte über die Wiese der winkenden Tanzhütte zu. Sogleich gerieth alles in Bewegung. Ehe man sich´s versah, drehten sich die Dirnen, lächelnd und mit seitwärts hängenden Köpfen, im Kreise, indeß die muntern Tänzer den Tact stampften, oder in die breiten, schallenden Hände klatschten oder frohlächelnd juheihten.
Die Tracht dieser Leute hat viel Aehnliches mit jeder der Bewohner des Weidlinger Thales. Das Mannsvolk trägt große, runde Hüte, mit einem grünen, oder golddurchwirkten Bande. Der Hut wird selbst beym Tanze nicht abgenommen. Ueber dem rothen Leibchen (Leibl) zieht sich ein grüner, breiter Hosenträger, die Strümpfe sind blau oder grün.
Die Mädeln (hier Menscher genannt) tragen Hauben von reichem oder halbreichem Zeuge mit schwarzen, frey ins Gesicht hervorstehenden Spitzen. Ueber dem Scheitel liegen die Hauben in sanfter Wölbung zurück, rückwärts ist ein kleiner Theil derselben in eckigter Form gleichsam abgebunden. Die Meisten haben seidene Halstücher; die Leibchen sind entweder von Taft oder Kattun, doch mit sehr kurzer Taille. Sie gehen meistens ohne Röckel; selbst in der Kirche sahen wir sie mit bloßen Hemdärmeln, auf deren Form sie große Sorgfalt wenden. Sie sind von guter, feiner Leinwand, und die Naht über die Achsel ist mit einem blauen gewirkten Streifen (Besetzt) verdeckt. Der unten mit einem blauseidenen Band garnirte Rock hat viele Falten, ist meistens aus Kattun und so lang, daß er die blauen Strümpfe beynahe ganz bedeckt. Ihr ziemlich schlanker Wuchs wird durch die hohen Absätze (Stöckl) an den schwarzledernen Schuhen noch um ein gutes erhöht.
Außer der Tanzhütte war noch ein Krämerstand, ein Lebkuchenzelt und eine Glückshafnerin (Krügelspielerinn) [=Tombolabude] hier, die alle reichlichen Zuspruch fanden. Sehr leidenschaftlich beschäftigten sich einige an den zwey Kegelbahnen an der Bachseite des Gasthauses. Sie spielten um ziemlich hohes Geld und mit vieler Geschicklichkeit. Die Orts-Polizey bestand aus vier Wächtern, die mit langen Flinten umher gingen, und, weil noch überall Friede war, ruhige Zuseher abgaben.
Je mehr der Abend heran rückte, desto mehr gebildete Leute sahen wir ankommen. Viele stiegen im Gasthause, die meisten aber in den Häusern der Bauern ab. Einige mischten sich auch unter die lustigen Tänzer, und vereinigten ihre Stadtmanieren mit den herzlichen Bewegungen der Hüttenbewohner.
Nachdem wir an allen diesen Auftritten fröhlich Antheil genommen, nachdem wir nochmahl das Dorf und die Gegend umher besichtiget, und uns selber zugerufen hatten: Hier ist es gut seyn! schickten wir uns zur Abfahrt an.
Ein Theil fuhr von Orte weg, ein anderer durchwandelte das Thal zu Fuße, um es in der milden Beleuchtung des Abendlichtes zu genießen.
Anmerkungen:
Aus: Gaheis, Franz Anton de Paula: „Wanderungen und Spazierfahrten in die Gegenden um Wien“, Bd. 2, 3. Aufl., Wien 1801, S. 151 – 171 (gekürzt).
Der Loreleyfelsen wurde in der 59. Folge „Warum ist´s an der Dürrliesing so schön?“behandelt (nachzulesen auf der Homepage unserer Marktgemeinde)